Der Unterwegs-Blog

STUCK IN DELHI

Dienstag / Mittwoch

Einmal den Himalaya und den Mount Everest sehen, durch Kathmandu streifen und knapp zehn Tage lang Nepal entdecken: Diese Reise wollte ich schon lange machen. Und buchte sie, als ich ein verlockendes Angebot fand. Meine Freundin Susanne kam mit.

Am Dienstag geht es in Frankfurt mit Air India los, Mittwoch landet der Flieger morgens in New Delhi, unserem Umsteigeflughafen. Und unserer neuen Heimat auf Zeit. Denn unser Flieger nach Kathmandu hebt nicht ab. „Verlegt auf morgen früh 7.20 Uhr“, sagt ein Air India-Verantwortlicher. Denn in Kathmandu war am Mittwochmorgen ein Flieger der Turkish Airlines von der einzigen, maroden Start- und Landebahn abgekommen, mit der Schnauze im Gras gelandet und mit den Reifen im Gras versunken. Da steckt er nun. Was anderswo wohl eine Frage von Stunden gewesen wäre, entwickelt sich zu einer größeren Aktion. Denn die Türken lehnen es ab, dass die Nepalis den Flieger mit Bulldozern zur Seite schieben, um die Bahn frei zu machen. Stattdessen schließen die Nepalis den einzigen internationalen Flughafen ihres Landes. Und überall sitzen zigtausende Menschen auf den Airports fest. So wie wir. Air India sagt uns zu, uns bis zum nächsten Morgen im Hotel unterzubringen. Da ich in der glücklichen Lage bin, noch ein indisches Visum zu haben, reihe ich mich in die entsprechende Schlange ein. Susanne indes hat keines und wählt die andere Schlange. „Wir sehen uns gleich am Bus.“ Pustekuchen. Denn all jene, die über kein Visum verfügen, dürfen den Flughafen nicht verlassen. Ich finde mich schließlich in einem von zwei Bussen wieder, die rund 50 von uns ins Hilton nach Gurgaon karren. Eine illustre Runde, die sich im Laufe der nächsten Tage immer besser kennen lernt. Da sind die Nepalis, die im Mittleren Osten arbeiten, und auf dem Weg in ihre Heimat so jäh stranden. Da sind Gosia und Joe aus Bristol, die urlauben. Und Pooja, Momin und Mohan, die in Bangalore bzw. im französischen Calais leben, und ihre Familien besuchen wollen. Oder Virginie und Robin, die neun Monate lang durch die Welt reisen und einen Monat in Nepal verbringen wollen. Und Keith aus Alabama, der auf Dienstreise ist. Wir alle sind die Schicksalsgemeinschaft, die sich nach und nach immer besser kennenlernt. Mit Mohan ziehen wir am ersten Abend um die Häuser rund um das Hotel, nachdem das bestellte Taxi auch nach einer Stunde nicht auftaucht. Warten ist schließlich die Tugend, die hier gefragt ist und uns jeden Tag aufs Neue abverlangt wird.

Donnerstag

Air India bestätigt am Donnerstag, dass das Hotel für uns für eine weitere Nacht gebucht ist. Der Flughafen in Kathmandu ist nach wie vor geschlossen. Wir können also beruhigt für ein paar Stunden das Hotel verlassen. Mit Keith und Mohan geht es auf Souvenir-Shoppingtour und zum Mittagessen zum Dilli Hat und zum Sightseeing-Stopp India Gate. Danach will uns der Taxifahrer allen Ernstes 2.700 Rupien abknöpfen. 30 Minuten, mehrere Telefonate und Diskussionen später sind es 1.500 Rupien. Geduld haben, ruhig bleiben, Situationen aussitzen, warten können: Diese Qualitäten müssen wir an den Tag legen. Diejenigen von uns, die außerhalb des Hotels festsitzen. Und jene, die im Transit-Bereich des Flughafens gefangen sind, noch viel mehr. Denn dort schlafen viele Leute an den Gates. Von Susanne höre ich, dass nach der ersten Nacht das Gros unserer Reisegruppe aufgibt und zurück nach Deutschland fliegt. Wir indes halten durch. Unsere Hilton-Gruppe lauert auf immer neue Nachrichten von Air India. Ich schlafe unruhig, lege mir abends stets mein Handgepäck bereit, um für eine zügige Abreise gewappnet zu sein. Wir alle verfolgen die Nachrichten, jeden Tag gibt es neue Hoffnung. Die Inder schaffen einen Kran zur Bergung des Flugzeuges herbei, die Schnauze wird mit Ballons hoch gepumpt. Aber der Flieger steht noch immer standhaft auf der Start-und Landebahn und bewegt sich nicht vom Fleck.

Freitag

Immer wieder gibt es einen Hoffnungsschimmer. So wie am Freitagmorgen, als das Telefon um 5.45 Uhr klingelt. „Air India holt alle Passagiere um 6.30 Uhr ab.“ Ich alarmiere Susanne, beeile mich, nach unten zu kommen. An der Rezeption heißt es: „Sie können noch frühstücken gehen.“ Dann dürfen wir uns alle erstmal wieder hinlegen. Aber dann, um 8.30 Uhr, geht es tatsächlich los. Die Busse setzen uns am Flughafen aus – und ein Spießrutenlaufen sondergleichen beginnt. Hin zu Gate 1 – es gibt immer noch keine Flüge nach Kathmandu. Dafür sind das Hilton in Gurgaon und Air India uns jetzt los. Geschickter Schachzug. Hin zu Gate 8, um nach Tagen wenigstens endlich in den Besitz des eigenen Koffers und damit frischer Klamotten zu kommen – kein Air India-Mensch da. Zurück zu Gate 1: „Da müsste jemand sein an Gate 8.“ Zurück zu Gate 8: „Ich gehöre nicht dazu, und die Air India-Leute haben frei, die feiern doch alle Holi.“ Dazwischen die verzweifelten Anläufe und langwierig-aufgeregten Diskussionen mit zuletzt mindestens einem halben Dutzend Sicherheitsleuten, um zu Susanne in den Flughafen zu kommen. Sie darf ohne Visum indes nicht aus dem Transitbereich, ich ohne gültiges Ticket nicht einen Schritt ins Flughafen-Gebäude setzen. Nicht einmal zur Toilette: Der Wachmann weist mir den Weg in die Metro-Station. Ein Lichtblick nach vier Stunden des Ausgesetztseins am Flughafen: Die Baggage Tags werden eingesammelt, eine Stunde später haben wir unsere Koffer. Und schauen uns glücklich und mit einem Lächeln auf den Lippen an. Worüber Mensch sich freuen kann, ist schon enorm. Jetzt fehlt nur noch eine Unterkunft: Momin findet für unsere spontan formierte Reisegruppe über eine Website günstige und gute Zimmer im Hotel „The Class“ in Mahipalpur, nur zehn Taximinuten vom Flughafen entfernt. Mohan, Momin, Nikesh, Virginie, Leo und ich fahren mit Taxen hin, ziehen ein und sind fürs erste zufrieden. Virginie, Leo, Momin und ich gehen lecker essen, danach wartet noch ein Abstecher in eine der wenigen Bars in der Nähe. Ein echt netter Nachmittag, der mit einer spontanen musikalischen Zimmerparty am Abend weitergeht. Dass wir mit Leo, Nikesh und Momin gleich drei Gitarristen und noch dazu gute Sänger in unserer Mini-Gruppe haben, ist schon bemerkenswert. Wir befreunden uns auf Facebook, machen ein Selfie und posten es: „Stuck in Delhi – made some new friends at Delhi International Airport“. So ist es tatsächlich. Menschen treffen sich und freunden sich miteinander an, die sich sonst garantiert niemals über den Weg gelaufen wären. Das ist das einzig Positive an dieser Reise. Auch die ständigen Anrufe unseres Guides Abi aus Kathmandu und unsere Reiseveranstalters machen Mut – alle sind bemüht und vor allem sehr besorgt. Stuck in Delhi – die Geschichte geht weiter.

Sonnabend

Am nächsten Morgen schließe ich meinen Koffer mit dem Gedanken, dass wir heute zurück nach Frankfurt fliegen. Dann ruft Susanne an: „Die Bordkarten sind eingesammelt worden, es geht um 11 Uhr ein Flieger nach Kathmandu.“ Ich verzichte aufs Frühstück, checke aus und fahre direkt zum Flughafen. Immer noch unsicher, wohin die Reise am Ende des Tages führen wird – nach Frankfurt oder nach Kathmandu. Komme mir blöd vor, mit meinem dicken Wintermantel über dem Arm. Eine Air India-Dame bestätigt mir schriftlich meinen Flug für 13.10 Uhr. Damit komme ich – endlich – ins Flughafengebäude. Mehrere Stationen weiter stehe ich in einer endlosen und sich keinen Millimeter bewegenden Schlange vor dem Check-In. Dort erblicke ich den Chef der Wachmänner, den ich schon am Tag zuvor voll gejammert hatte. Ich gehe zu ihm, er erkennt mich wieder – und lässt mich sofort einchecken. Eine kurze Weile später bin ich meinen Koffer wieder los und habe eine Bordkarte für den 11 Uhr-Flug in der Hand. Zehn Minuten noch bis elf, doch ich sehe das gelassen. Passkontrolle, Security Check – und der Blick auf den Monitor: Der Flug ist auf 14.15 Uhr verlegt. Aber: Jetzt treffe ich endlich Susanne wieder! Und lerne auch Waltraud und Burkhardt kenne, die neben zwei älteren Damen zum Rest unserer Reisegruppe gehören. Wir hoffen gemeinsam, verschwenden sogar schon Gedanken daran, unsere Reise gegebenenfalls etwas nach hinten zu verlagern, um noch mehr sehen zu können. Dann wird unser Flug auf 16 Uhr verschoben. Derweil hat Jet Airways seine Passagiere in Busse gepflanzt und gen Nepal geschickt. Spicejet cancelt seine Flüge nach Kathmandu. Aber die Air India-Flüge halten sich wacker auf der Anzeige. Bis irgendwann die trockene Durchsage kommt: „Flight 213 to Kathmandu has been cancelled.“ Wir haben die Faxen dicke. Wir buchen uns im Eaton Smart Transit-Hotel ein, der bisherigen Heimat auf Zeit des Quintetts aus unserer Truppe, stornieren anschließend unsere Flüge nach Kathmandu und buchen unsere Flüge Richtung Frankfurt um. Es reicht uns, wir wollen nicht mehr. Wir haben mehrere Tage lang Wechselbäder der Gefühle genommen, damit muss nun Schluss sein. Und lohnen würde sich der Trip nach Nepal, der eigentlich am nächsten Donnerstag zu Ende gehen sollte, dann auch nicht mehr.

Sonntag

Der Flughafen in Kathmandu ist wieder geöffnet, tatsächlich, aber immer noch verzögern sich viele Flüge. Wir sind mit dem Thema durch, gehen nach einer wirklich erstmals gut und entspannt durchschlafenen Nacht frühstücken und dann zu unserem Gate gen Frankfurt. Dort angekommen, fehlen unsere Koffer. Die sind bestimmt dahin gekommen, wo wir nicht waren: nach Kathmandu.

Eine Antwort auf „Der Unterwegs-Blog“

  1. Ja, so war das.
    Ich fand es vor allem schade, dass ich in Indien war ohne in Indien gewesen zu sein.
    Und dieses auf und ab der Gefühlswelten innerhalb von kürzesten Zeitabständen (quasi mit jeder neuen Info) war spannend bei mir und bei den anderen zu erleben.
    Das wird aber nicht mein letzter Versuch gewesen sein nach Nepal zu kommen und dann wird es sicher um so schöner.
    Susanne

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